Ist das hier wirklich Papier? Dieser Gedanke schleicht sich zuerst in den Kopf, wenn man die flirrenden Bilder von Claus Georg Stabe sieht. Sie haben eine Dichte, wirken wie Textilien, die man anfassen und berühren möchte. Feine und feinste Linien legen sich übereinander. Sie schreiben sich fort, aber überschreiben auch immer das, was vorher gewesen ist. Schon dort wird das Spiel zwischen Opazität und Transparenz als zentrales Thema der Arbeit sichtbar. Jeder Strich überdeckt auch den vorangegangenen und webt daraus das Material dieser Bilder. Der ausgebildete Maler hat sich gegen den Pinsel und für den Kugelschreiber entschieden. Das wohl banalste Arbeitsmittel. Keine schwere, ernste Ölfarbe, die lange trocknen muss und bei der jeder Fehler eine Konsequenz hat, sondern der gleiche Gegenstand, mit dem man am Morgen noch die wichtigen Dinge auf den Unterarm gekritzelt hat. Es ist eine Entweihung, die interessanterweise den gegenteiligen Effekt hat.
Stabe legt sich Regeln auf, mit denen er seine künstlerischen Auswahlmöglichkeiten verknappt. Indem er sich Grenzen setzt, werden seine Möglichkeiten grenzenlos. Denn erst in der Reglementierung lässt sich ein Gegenstand einfangen, wird Materie und kann greifbar werden. Er geht dabei den fast könnte man sagen, Umweg über die Technik. Zur Entwicklung seiner Formensprache fertigt er Schablonen an, die regelmäßig zum Einsatz kommen und sich durch verschiedene Zeichnungen ziehen. Zusätzlich verwendet er eine Zeichenschiene, die das Zittern der menschlichen Hand beim stoischen Ziehen der Linien nicht ganz, aber nahezu ausschaltet. Stabe macht sich selbst zur Malmaschine, indem er diese Hilfsmittel einsetzt, die seine menschliche Autorschaft verwischen und verschleiern. Das kann auch sozialkritisch gelesen werden. Denn gerade heute, wo Bilder zur Flut geworden sind, werden die Frage nach der Präsenz des Autors und die Verwaltung der eigenen Sichtbarkeit konstant verhandelte. Das sind die Fragen, die die Zukunft des Zusammenlebens maßgeblich beeinflussen werden. Wie viel sind wir bereit, von uns preiszugeben und vor allem zu welchem Preis? Was muss offen, was verborgen sein und wann ist der Punkt erreicht, an dem es ins Unkenntliche kippt? Wie weit kann der Autor hinter seinem Werk zurücktreten?
Stabes eigene Präsenz weicht zwar einer maschinellen Schreibweise, doch wie bei jeder Maschine und jedem Algorithmus können diese technischen Errungenschaften nur lernen, was ein Mensch ihnen beibringt beziehungsweise die Informationen verarbeiten, die vorher eingespeist wurden. Der Mensch verschwindet dabei nie. Egal wie weit er sich zurückzieht. Und so kann auch Stabe als Autor nicht ganz verschwinden oder sich aus seinem Werk herausschreiben. Weil die Muster, die durch Schablonen verewigt werden, nicht maschinell generiert, sondern von ihm erdacht sind. Es sind verschiedene geometrische Figuren, die immer wieder auftauchen und sich manchmal über mehrerer Zeichnungen verfestigen, deren Spur sich aber auch wieder verlieren und verflüchtigen kann. Er überträgt diese Figuren in Systeme aus Zeichen, die man versucht zu entziffern, wie die verschlüsselten Botschaften eines unbekannten Planeten. Neue Formen schreiben sich nur langsam ein in dieses Zeichen-Vokabular. Dieses System reagiert nicht auf schnelle Veränderungen, neue Zeichen müssen sich erst einschreiben und ihren Platz finden.
Es ist das, was nicht vorherseh- oder berechenbar ist: der menschliche Antrieb zur Veränderung. Hier ist er in Form gegossen, wird als Prozess sichtbar und eben auch transparent.
In den Überlagerungen der Zeichnungen stecken Sedimentschichten von Geschichten und Bildern, die seit Jahrtausenden weitergegeben werden. Wie die Tiefen eines Ozeans des kollektiven Unterbewussten, aus dessen abertausenden Kubiklitern Wasser immer wieder etwas an die Oberfläche des Verstandes schwappt. Alles ist greifbar und flüchtig gleichermaßen. Diese Momente fängt Stabe ein und gibt ihnen eine Gestalt. Wie Anleitungen zu einer Architektur, die erst noch erfunden werden muss, erscheinen die feinen Linien. Manche wirken in ihrer Form wie Kirchenfenster, durch die gerade noch das letzte Abendlicht fällt. Man kann aber auch an einen hochflorigen Teppich denken. Vielleicht sogar einen Klangteppich. Denn die Arbeiten haben eine ganz eigene Musikalität und Rhythmik. Es sind delikat komponierte Songs ohne klaren Beginn und ohne eindeutig markiertes Ende. Indem Stabe sich selbst klare Regeln auferlegt, kann er auch einem unerschöpflichen Repertoire an Formen und Ausdrucksweisen schöpfen. Diese Möglichkeiten lotet er in jedem Strich, der über das Papier kratzt, immer wieder auf ein Neues aus.
Seine Arbeit führt an die Grenzen des Mediums der Zeichnung und an die Grenzen des Verstandes. Es ist eine Reise, auf die man gehen kann, wenn man sich auf diese ätherische Bildwelt einlässt. Es ist aber auch eine nüchterne Untersuchung von Farben und Formen, die strikten Regeln unterliegen, die sich immer und immer wieder um sich selbst drehen und nie aufhören, sich zu befragen und dabei jede Endgültigkeit konsequent ausschließt. Weil es keinen Anfang und kein Ende gibt, sondern nur das, was wir sehen und das, was wir nicht sehen.
Laura Helena Wurth
Ist das hier wirklich Papier? Dieser Gedanke schleicht sich zuerst in den Kopf, wenn man die flirrenden Bilder von Claus Georg Stabe sieht. Sie haben eine Dichte, wirken wie Textilien, die man anfassen und berühren möchte. Feine und feinste Linien legen sich übereinander. Sie schreiben sich fort, aber überschreiben auch immer das, was vorher gewesen ist. Schon dort wird das Spiel zwischen Opazität und Transparenz als zentrales Thema der Arbeit sichtbar. Jeder Strich überdeckt auch den vorangegangenen und webt daraus das Material dieser Bilder. Der ausgebildete Maler hat sich gegen den Pinsel und für den Kugelschreiber entschieden. Das wohl banalste Arbeitsmittel. Keine schwere, ernste Ölfarbe, die lange trocknen muss und bei der jeder Fehler eine Konsequenz hat, sondern der gleiche Gegenstand, mit dem man am Morgen noch die wichtigen Dinge auf den Unterarm gekritzelt hat. Es ist eine Entweihung, die interessanterweise den gegenteiligen Effekt hat.
Stabe legt sich Regeln auf, mit denen er seine künstlerischen Auswahlmöglichkeiten verknappt. Indem er sich Grenzen setzt, werden seine Möglichkeiten grenzenlos. Denn erst in der Reglementierung lässt sich ein Gegenstand einfangen, wird Materie und kann greifbar werden. Er geht dabei den fast könnte man sagen, Umweg über die Technik. Zur Entwicklung seiner Formensprache fertigt er Schablonen an, die regelmäßig zum Einsatz kommen und sich durch verschiedene Zeichnungen ziehen. Zusätzlich verwendet er eine Zeichenschiene, die das Zittern der menschlichen Hand beim stoischen Ziehen der Linien nicht ganz, aber nahezu ausschaltet. Stabe macht sich selbst zur Malmaschine, indem er diese Hilfsmittel einsetzt, die seine menschliche Autorschaft verwischen und verschleiern. Das kann auch sozialkritisch gelesen werden. Denn gerade heute, wo Bilder zur Flut geworden sind, werden die Frage nach der Präsenz des Autors und die Verwaltung der eigenen Sichtbarkeit konstant verhandelte. Das sind die Fragen, die die Zukunft des Zusammenlebens maßgeblich beeinflussen werden. Wie viel sind wir bereit, von uns preiszugeben und vor allem zu welchem Preis? Was muss offen, was verborgen sein und wann ist der Punkt erreicht, an dem es ins Unkenntliche kippt? Wie weit kann der Autor hinter seinem Werk zurücktreten?
Stabes eigene Präsenz weicht zwar einer maschinellen Schreibweise, doch wie bei jeder Maschine und jedem Algorithmus können diese technischen Errungenschaften nur lernen, was ein Mensch ihnen beibringt beziehungsweise die Informationen verarbeiten, die vorher eingespeist wurden. Der Mensch verschwindet dabei nie. Egal wie weit er sich zurückzieht. Und so kann auch Stabe als Autor nicht ganz verschwinden oder sich aus seinem Werk herausschreiben. Weil die Muster, die durch Schablonen verewigt werden, nicht maschinell generiert, sondern von ihm erdacht sind. Es sind verschiedene geometrische Figuren, die immer wieder auftauchen und sich manchmal über mehrerer Zeichnungen verfestigen, deren Spur sich aber auch wieder verlieren und verflüchtigen kann. Er überträgt diese Figuren in Systeme aus Zeichen, die man versucht zu entziffern, wie die verschlüsselten Botschaften eines unbekannten Planeten. Neue Formen schreiben sich nur langsam ein in dieses Zeichen-Vokabular. Dieses System reagiert nicht auf schnelle Veränderungen, neue Zeichen müssen sich erst einschreiben und ihren Platz finden.
Es ist das, was nicht vorherseh- oder berechenbar ist: der menschliche Antrieb zur Veränderung. Hier ist er in Form gegossen, wird als Prozess sichtbar und eben auch transparent.
In den Überlagerungen der Zeichnungen stecken Sedimentschichten von Geschichten und Bildern, die seit Jahrtausenden weitergegeben werden. Wie die Tiefen eines Ozeans des kollektiven Unterbewussten, aus dessen abertausenden Kubiklitern Wasser immer wieder etwas an die Oberfläche des Verstandes schwappt. Alles ist greifbar und flüchtig gleichermaßen. Diese Momente fängt Stabe ein und gibt ihnen eine Gestalt. Wie Anleitungen zu einer Architektur, die erst noch erfunden werden muss, erscheinen die feinen Linien. Manche wirken in ihrer Form wie Kirchenfenster, durch die gerade noch das letzte Abendlicht fällt. Man kann aber auch an einen hochflorigen Teppich denken. Vielleicht sogar einen Klangteppich. Denn die Arbeiten haben eine ganz eigene Musikalität und Rhythmik. Es sind delikat komponierte Songs ohne klaren Beginn und ohne eindeutig markiertes Ende. Indem Stabe sich selbst klare Regeln auferlegt, kann er auch einem unerschöpflichen Repertoire an Formen und Ausdrucksweisen schöpfen. Diese Möglichkeiten lotet er in jedem Strich, der über das Papier kratzt, immer wieder auf ein Neues aus.
Seine Arbeit führt an die Grenzen des Mediums der Zeichnung und an die Grenzen des Verstandes. Es ist eine Reise, auf die man gehen kann, wenn man sich auf diese ätherische Bildwelt einlässt. Es ist aber auch eine nüchterne Untersuchung von Farben und Formen, die strikten Regeln unterliegen, die sich immer und immer wieder um sich selbst drehen und nie aufhören, sich zu befragen und dabei jede Endgültigkeit konsequent ausschließt. Weil es keinen Anfang und kein Ende gibt, sondern nur das, was wir sehen und das, was wir nicht sehen.
Laura Helena Wurth